Dienstag, Oktober 26, 2004

Momentaufnahmen

Manchmal gibt es im Leben Momente, die besonders sind. Momente, in denen man merkt, daß man lebt und nicht einfach nur aufsteht, den Alltag meistert und abends wieder einschläft. Momente, in denen ich einfach "bin" und merke, wie das Leben durch meinen Körper rast. Momente, in denen ich frei bin und mich als Teil dieser Welt begreifen kann. Momente, die man nicht mit der Kamera einfangen oder mit Worten beschreiben kann.

Auf dem Gasometer in Oberhausen zu stehen während es nieselt und dickbäuchige, tiefhängende Wolken sich widerwillig vom Wind vorwärts treiben lassen. Mir vom Wind mit stürmischen Böen das Haar zersausen lassen und mit ausgebreiteten Armen dort oben stehen. Das Rauschen meines eigenen Herzschlages zu hören und zu fühlen, wie das Leben um mich und in mir pulsiert. Ich liebe das Gefühl, als ob mich der Wind jeden Moment davon tragen könnte während sich unter mir das Ruhrgebiet ausbreitet. Dann kann ich fliegen, loslassen und mit dem Wind über den Himmel toben. Und ich fühle, ich "bin" einfach nur.

Im Sommer auf meiner versteckten Lieblingslichtung zu liegen und die Falken zu beobachten, die dort oben ihre Kreise ziehen. Kleine Wolken gemächlich über den blauen Himmel segeln zu sehen und das Gefühl sonnenwarmer Erde unter mir zu spüren. Den Geruch des Grases, der mich in der Nase kitzelt, zu riechen und den Gesang der Vögel zu hören während die Bäume sich leise in der Sommerbrise wiegen und mir ihre Geschichten zu wispern. Dann kann ich zur Ruhe kommen, den Herzschlag von Mutter Erde wahrnehmen und mich in ihren unendlichen Schoß fallen lassen. Und ich fühle, ich "bin" einfach nur.

Von einem ausgedehnten Spaziergang durch herbstliches oder winterliches Wetter zu kommen, mich mit einer warmen Decke aufs Sofa zu kuscheln und Tee zu trinken während die Lichter der Kerzen weiches Licht verbreiten. Dazu ausdrucksstarke Musik zu hören oder ein gutes Buch zu lesen und mich in fremde Welten entführen zu lassen während sich draußen die Nacht herabsenkt. Dann kann ich mich zurückziehen und die Welt einfach ausblenden. Und ich fühle, ich "bin" einfach nur.

In Rußland schweigend am Strand der Wolga zu liegen und sich den Walkman mit jemandem zu teilen während sich über einem der klarste Sternenhimmel erstreckt. Sich leise etwas zu wünschen wenn eine Sternschnuppe einen majestätischen Bogen beschreibt bevor sie verglüht. Mit den Zehen den Sand fühlen und sich als Teil dieser Welt begreifen während man Pink Floyd lauscht. Darüber nach zu denken, ob die Sterne, die man zu sehen glaubt, noch leuchten oder schon längst erloschen sind und wir nur das Licht sehen, das sie einmal ausgestrahlt haben. Versuchen, Sternbilder zu erkennen und sich zu fragen, ob es dort draußen in dieser Unendlichkeit noch irgendwo Leben gibt. Und ich fühle, ich "bin" einfach nur.

Über Trödelmärkte zu laufen und das Treiben zu genießen. Die Menschen zu beobachten, wie sie feilschen und Dinge begutachten. Sich zu fragen, was diese Dinge, die dort verkauft werden, in ihrem Leben schon alles gesehen haben mögen und sich Geschichten aus zu denken, die sie erzählen könnten. Dann kann ich spüren, wie vielfältig das Leben ist und wie einzigartig jeder Mensch. Und ich fühle, ich "bin" einfach nur.

Vom Sommerregen überrascht zu werden während man im Gras liegt und den Vögeln lauscht und die Regentropfen auf den Armen zu spüren. Der spontanen Eingebung nach zu gehen, wie sich warmer Sommerregen wohl auf der Haut anfühlen mag. Sich ziemlich unbekleidet in den Regen zu stellen und die Augen zu schließen während der Regen mit schweren Tropfen auf den Körper prasselt. Das Gesicht dem Himmel entgegen zu wenden und sich mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen langsam um die eigene Achse zu drehen. Und ich fühle, ich "bin" einfach nur.

All das sind oder waren Momente, in denen ich all das vergessen kann, was angeblich so wichtig ist in unserem Leben. Es ist intensiv und manchmal mit soviel Gefühl verbunden, daß man nicht weiß, wohin damit jetzt eigentlich. Dann ist es nicht wichtig, wer oder was ich bin, woher ich komme oder wohin ich gehen mag. Einzig wichtig ist das Gefühl, zu leben, intensiv zu erleben, daß ich einfach nur "bin". Ich kann diese Momente nicht festhalten. Nicht in Worten oder Bildern. Ich trage sie im Herzen mit mir und wenn ich die Augen schließe, dann kann ich Wind fühlen, den Geruch des Waldes riechen, Wasser auf meiner Haut spüren und den Sternenhimmel sehen während ich mich daran erinnere, daß Leben soviel mehr ist als nur morgens aufzustehen, seinen Alltag zu meistern und dann wieder ins Bett zu gehen. Sie sind wie Geschenke, die dann auftauchen wenn man sie am wenigsten erwartet und die einen daran erinnern, was "zu leben" bedeuten kann.

5 Wolfsspur(en):

Blogger abraxa meint dazu ...

danke für die Erinnerung.
Abraxa

8:19 AM  
Blogger Stjama meint dazu ...

Danke für diese wundervollen Bilder, die so viele eigene Bilder wachrufen :) Man vergisst sie im Alltag so schnell wieder, weil man doch bei all den "wichtigen" Dingen "keine Zeit" für so was hat...

9:25 AM  
Anonymous Anonym meint dazu ...

Schöne Worte, die du da gefunden hast :-))

Gruß Cloudin

6:23 PM  
Anonymous Anonym meint dazu ...

Weißt Du was? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal einfach nur war. Ich träume davon, aber es kommt nicht mehr dazu. Hart, oder?

PS: Ja, der Wein hats in sich, gell? *ggg*
Karin
http://www.myblog.de/schlangenbaum

7:13 PM  
Blogger Mirtana meint dazu ...

Ja ja, der Wein ;)

Das ist in der Tat hart :/ Einfach mal einen Tag oder Nachmittag frei nehmen vom Alltag, ab in den Wald und alleine spazieren gehen, vielleicht kommt das Gefühl dann wieder?

Gruß
Mirt

8:34 PM  

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