Samstag, Mai 28, 2005

Saratov - Rußland

Genau da war ich schon mal, genauer gesagt zwei Mal. Sommer 1997 und 2000, nach dem Abitur. Da steht auch das kleine, hübsche Gebäude vom letzten Foto - in Saratov oder im Kyrilischen geschrieben "Capatob". Während ich hier sitze, alle drei Fenster im Wohnzimmer aufgerissen, es draußen noch 20 Grad hat, eine kühle Brise durchs Zimmer weht und die Kerzen sanft zum Flackern bringt, mein Online-Sender Oldies spielt und ich genüßlich Tee trinke, muß ich an Saratov denken. An diesen unglaublich breiten Fluß, die Wolga, der im Winter auf seiner gesamten Breite von fünf, sechs Kilometern zufriert. An Lagerfeuer, an "Vierbettzimmer-Reihenbaracken", an den "Freßtempel", an melancholische russische Lieder, an Gewitter über Moskau, haufenweise Mücken, Plumpsklos und die Pferdetränke. An die Mädels, die entgeistert feststellen mußten, daß es im Ferienlager keine Spiegel auf den Zimmern gab, die ersten Erfahrungen mit echtem russischem Wodka, Verständigungsproblemen, Ausflüge in die Stadt, und und und ...

Angefangen hat es im November '96, als mir meine besten Freundinnen S. und Y. eröffneten, daß sie im nächsten Sommer mit der evangelischen Kirche nach Rußland fahren wollten. Ob ich nicht mitkommen wolle? Ich und Rußland? Aus Neugier mitgegangen zu einem der Vorbereitungstreffen, Feuer gefangen, Anmeldung mitgenommen und zu Hause zu den verblüfften Eltern gesagt: "Da unterschreiben, ich fahr da mit!" Ohne große Diskussion und ohne die Einwände, daß Rußland doch kein sicheres Reiseland sein könne, wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Hab auch mehr oder weniger fleißig den kostenlosen Russisch-Unterricht besucht, nur gemerkt hab ich mir davon leider nicht viel. Was die heute 25jährige Mirtana ziemlich ärgert, daß ihr da als 17jährige die Weitsicht fehlte ... Bis kurz vor der Abreise stand der geplante Jugendaustausch zwischen evangelischer Kirche Hilden und evangelischer Gemeinde in Saratov ständig auf der Kippe. Da irgendwo in der Nähe von Saratov auch atomare Sprengsätze gelagert werden und die Situation mit den damaligen Splitterstaaten recht angestrengt war, hätte das ganze noch in letzter Sekunde platzen können. Ist es zum Glück nicht und auch die Visa waren vor dem Abflug dann endlich da. Treffpunkt Flughafen Düsseldorf, die ganze Truppe versammelt. Man kannte sich vom gemeinsamen Vorbereitungstreffen in "Neue Mühle" und war gleichermaßen aufgeregt. Wie einige der Mädels es geschafft haben, mit ihrem Gepäck unter zwanzig Kilo zu bleiben ist mir bis heute ein Rätsel, ebenso wie die Tatsache, warum diese Modepuppen überhaupt mitgefahren sind. Gepäck abgegeben, durch die Kontrolle dann in den Wartesaal. Fotografieren durften wir die Kontrollstation nicht und die russischen Beamten dort haben sogar die MagLites von unseren Betreuern komplett auseinander genommen. Sie hätten darin ja Waffen schmuggeln können ... Irgendwie verging dann auch die letzte Stunde bis zum Abflug, wenn auch sehr schleppend.

Für jeden, der in seinem Leben mal nach Rußland reisen möchte: entweder Ihr habt Nerven wie Stahlseile oder Ihr betrinkt Euch, bevor Ihr eine Maschine der AeroFlott besteigt. Unsere machte alles andere, nur keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Selbst die Sitze waren entweder gar nicht mehr in einer Position feststellbar oder einem fiel ständig das Tablett auf die Knie oder man bekam aus der Lüftung stetig Tropfen eiskalten Wassers auf den Kopf. Als wir nach der Landung in Moskau alle begeistert klatschten (ja, genau wie man das aus den schlechten amerikanischen Filmen kennt), wurden wir von den russischen Fluggästen sowie dem Personal recht schräg angesehen. Erleichtert aus diesem Flugzeug Marke AeroHoppelschrott ausgestiegen und man merkte, man war in einer ganz anderen Welt gelandet. Ich kann mich nicht mehr erinnern, an welchem der drei Flughäfen Moskaus wir angekommen waren, aber er war eins mit Sicherheit: heruntergekommen. Absolut kein Vergleich mit dem funkelnden und sauberen Pendant in Düsseldorf.

Wir wurden abgeholt und ins Hotel Ismajlowa verfrachtet. Dieses "schicke" Hotel wurde in den 70ern errichtet, als damals die Olympiade in Moskau stattfand. Es bestand aus fünf Betonklötzen mit jeweils 28 Stockwerken. Und seit der Olympiade war daran auch nichts mehr getan worden. Die Zimmer waren alle mal identisch eingerichtet gewesen und im Laufe der Jahre hatte jedes eine andere Macke angenommen. In dem Zimmer, daß ich mir mit Y. geteilt habe, funktionierte die Klima-Anlage nicht so wirklich und die Toilettenspülung gab komische Geräusche von sich. Auch die Fahrstuhl-Anlage war zum Fürchten. Wir waren im Stockwerk 16 untergebracht und die Fahrt mit dem Aufzug war die längste meines Lebens. Ich hab nie wieder einen Fahrstuhl gesehen, der dermaßen geklappert hat. Sehr merkwürdig auch die Einteilung der Fahrstühle. Die auf der rechten Seite im Gang fuhren nonstop bis zum 17. und hielten dann auf jedem bis zum 28. Stockwerk. Die linkerhand gelegenen Aufzüge dagegen fuhren nur bis Stockwerk 16, was für uns hieß, wenn wir die Leute auf Etage 17 besuchen wollten, mußten wir erst bis ins Erdgeschoß und dann den Fahrstuhl wechseln. Auch die Idee, hoch in den 28. Stock zu fahren und vom "Balkon", der den Anfang der windigen Feuerleiter markierte, die Aussicht auf eine Stadt, die sich bis zum Horizont auszubreiten scheint, zu bewundern während ein Gewitter Blitze auf das nächtlich funkelnde Moskau schleudert, bescherte uns einen Aufzugwechsel. Denn die Türe zum Treppenhaus, welches als Notausgang ausgewiesen wurde, war logischerweise abgeschlossen, so daß sich die Idee, einfach eine Etage hoch zu laufen um dann mit dem Aufzug die "Reise" fort zu setzen, zwar als eine recht clevere aber nicht durchführbare Idee erwies. Aber das Zittern im Aufzug hat die Aussicht alle Male wieder wettgemacht, auch wenn es ein komisches Gefühl ist, im 28. Stock auf einem winzigen Balkon zu stehen, dessen Boden einzig ein Gitter ist, durch das man sehr schön die Höhe feststellen kann. Nichts für Leute mit Höhenangst. Und wir mußten ja auch mit dem Aufzug wieder ganz runter ... Da wir logischerweise nicht alleine durch das nächtliche Moskau laufen durften, endete der Tag dann auch ganz unspektakulär im Bett, wo ich feststellte, daß es kein Wasserbett war, sondern daß es Verschleißerscheinungen waren, die es zum Schaukeln brachten.

Den nächsten Tag hatten wir ein wenig Zeit, Moskau zu besichtigen. Unser Weiterflug nach Saratov war erst für Abends geplant. Und welche Eindrücke Moskau für unbedarfte Teenager auf Lager hat und wie man mit einer Ameisenstraße unter dem Bett ruhig schlafen kann, erzähle ich dann nächstes Mal. Jetzt genehmige ich mir ein Glas Wodka und hänge meinen Erinnerungen noch ein wenig nach bevor ich ins Bett gehe. Nastarowje!