Sonntag, Juli 03, 2005

Der Eremit - der Einsame?

Diese Karte lief mir heute über den Weg, als ich (noch) ungestört auf dem Balkon saß und mit Hilfe meiner Tarotkarten ein wenig nachdachte und Gedankenspiele durch ging. Der Eremit, mit ihm könnte ich mich im Moment durchaus anfreunden. Ich merke das schon seit einigen Tagen, mir ist immer mehr nach Rückzug zumute, nach Stille und Nachdenken, nach Beschäftigung mit mir selber oder Diskussionen, die sich nicht nur darum drehen, ob das Mädel auf dem Balkon des Nachbarhauses jetzt ein "geiles Gestell" hat oder nicht. Ich reagiere allergisch auf pubertäres Gekicher über Kalauer, die einen so langen Bart haben, daß man in fünf Meter Entfernung noch darauf treten kann. Ich ertrage dieses Laute und Aufdringliche um mich herum momentan schlecht bis gar nicht und ich sehe keinen Sinn darin, den Mund aufzumachen um Nichtigkeiten und Belanglosigkeiten loszuwerden.

Wenn mich die Einsamkeit meiner Jugend eines gelehrt hat, dann aus dem Alleinsein etwas Positives zu machen, die Zeit mit sich selber zu nutzen und das Ungestört sein zu genießen. Mir fällt das immer mehr auf, viele Menschen können nicht mehr mit sich selber alleine sein, gerade so als ob sie Angst vor sich selber haben. Alleinsein und Einsamkeit sind zwei Begriffe, die sehr oft in einem Atemzug verwendet werden und die für viele ein und dasselbe aussagen. Für mich aber haben diese zwei Begriffe zwei gegensätzliche Bedeutungen. Einsamkeit heißt für mich das Gefühl, mit dem ich eine Situation, in der ich bin (nämlich alleine sein) negativ bewerte. Was ich meine ganze Jugend lang getan habe. Mal mehr, mal weniger. Einsamkeit ist für mich der Schmerz darüber, daß es niemanden gab, dem ich mich nahe und verbunden gefühlt habe. Dieses Gefühl, diesen Schmerz, fühlt man nicht nur, wenn man alleine in seinem Zimmer sitzt, er kann auch mitten in der größten Menschenmasse über einen herfallen. Alleinsein dagegen ist, rein vom Begriff ausgehend, eine neutrale Beschreibung einer Situation - ich bin anwesend und sonst kein anderer Mensch. Für mich ist Alleinsein (können) etwas, daß ich bewußt wähle, um zu mir zu finden, um abzuschalten, um nachzudenken, um neue Kraft zu schöpfen, mich ungestört mit Schreiben, Lesen, Basteln, Musik hören zu beschäftigen oder einfach nur das Zwitschern der Vögel im Wald zu genießen ohne jemanden an meiner Seite zu haben, der mir die Ohren heiß quatscht.

Seltsamerweise bin ich meist von Leuten umgeben, die diese Auffassung von Alleinsein für sehr schrullig halten. Menschen, die Einsamkeit und Alleinsein im gleichen Atemzug nennen und verlernt haben, daß es auch schön sein kann, mal niemanden um sich herum zu haben. Gut, dann bin ich gerne schrullig, aber meine Auszeiten von menschlichen Kontakten und meine "Verabredungen mit mir selber" lasse ich mir nicht nehmen. Der Einzige, der von Anfang an verstanden hat, wie sehr ich das manchmal brauche, und dem ich nicht erst wortreich erklären muß, was ich damit meine, war der Herzallerliebste. Auch er braucht seine Auszeiten, die ihm gegönnt seien. Er beschäftigt sich zwar mit anderen Dingen als ich, aber das Grundprinzip ist das Gleiche.

So sehr ich das Alleinsein auch genießen gelernt habe und irgendwann die Erkenntnis gewonnen habe, daß ich die Einzige bin, die meine Probleme lösen kann, so sehr werde ich immer wieder mit Menschen konfrontiert, die Angst vor sich selber haben und ihre Probleme gerne von anderen gelöst hätten. Ich laufe anderen nicht hinterher, ich frage höchstens "Wie geht es Dir?" und lasse meinem Gegenüber somit die Möglichkeit, mir entweder die Floskel "Gut, und selber?" um die Ohren zu hauen oder aber mir zu sagen, wo der Schuh drückt. Und ich bekomme oft zu hören, wo der Schuh drückt. Ich kann wirklich nicht sagen, woran es liegt, daß sich Menschen mir gegenüber öffnen und mich um Rat bitten oder gar der Meinung sind, ich könne ihre Probleme für sie lösen. Oft sind das Menschen, die ihre Zeit lieber damit verbringen, sich stundenlang über Nichtigkeiten mit Leuten, die sie eigentlich nicht wirklich mögen, auszutauschen. Die sich langweilen wenn sie alleine sind, die mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen, die ihre Probleme einholen wenn kein anderer Mensch um sie herum ist und die nicht verstehen, was ich daran finde, zum Beispiel ganz alleine spazieren zu gehen.

Ich schenke diesen Menschen meine Zeit, meine Aufmerksamkeit, mein Verständnis und mir ist klar, daß es sich hierbei nicht um ein Tauschgeschäft handelt - dann würde ich dafür Geld nehmen. Mich ärgert es nicht, wenn sie mich nicht anrufen, um mich zu fragen, was ich mache oder ob ich vielleicht Lust auf gemeinsame Unternehmungen habe. Freundschaften sind etwas, was man pflegen muß. Ich nenne sehr wenige Menschen meine Freunde, werde jedoch von vielen als Freundin bezeichnet. Ob ich eine Freundin bin, weiß ich nicht. Viele, die mich so nennen, haben so viele Freunde, daß sie schon unter Streß geraten bei der Entscheidung, mit wem sie jetzt die Zeit totschlagen sollen. Vielleicht ist es in der Tat ein ausgeprägtes Helfer-Syndrom, aber meine Tür ist für niemanden verschlossen. Ich lasse sie zu mir kommen und auch wieder ziehen, wenn sie mich nicht mehr brauchen.

Früher habe ich mich geärgert, wenn man "vergessen" hat, mich zu Geburtstagsfeiern und ähnlichem einzuladen. Wenn man mich "aus der Schublade" geholt hat, wenn man mich brauchte, und dann wieder zurücklegte. Wenn man mich als Mülleimer für Probleme gebraucht hat ohne mir mal "Danke, daß du mir zuhörst" zu sagen oder wenigstens zu zeigen. Irgendwann habe ich begriffen, daß man nicht immer etwas zurück bekommt. Die einen mögen von mir nehmen, doch dafür bekomme ich eben von anderen etwas. Sei es, daß mir jemand über den Weg läuft, der meine Ansichten teilt, der meine Marotten akzeptiert ohne mich ändern zu wollen, der mir Zuneigung schenkt, der mit mir Gespräche führt, die zum Nachdenken anregen und aus denen ich etwas mitnehme, der mich in seine Seele blicken läßt oder der vielleicht einfach nur mit mir schweigen und Stille genießen kann. Die Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, Geben und Nehmen hält sich in der Waage, diese Menschen nenne ich meine Freunde. Einige davon sehe ich vielleicht einmal im Jahr, wenn überhaupt. Doch über Telefon und Internet stehe ich in Kontakt mit ihnen, kommuniziere mit ihnen, gewähre Einblick in mein Selbst und bekomme von ihnen Ansichten von außen wenn ich Probleme habe.

Diese Menschen wissen, wer sie sind und wenn sie hier mitlesen: ich sehe Euer Schmunzeln. Ich bin dankbar dafür, daß es Euch gibt. Die Tatsache, daß es Euch in meinem Leben gibt, verhindert, daß ich mich einsam fühle. Auch wenn ich alleine bin und Ihr viele Kilometer von mir entfernt lebt, ich weiß, daß ich auf Euch bauen kann, so wie Ihr auf mich bauen könnt.

Ich bin kein "einsamer Eremit" und so habe ich diese Karte auch nie interpretiert. Für mich ist sie ein Zeichen, daß es Zeit für einen Rückzug ist bevor mich das ständige Nehmen anderer ausbrennt. Besinnung auf sich selber, auf die eigenen Interessen, Beschäftigung mit mir, Nachdenken, kreativ sein. Ich freue mich darüber und finde nicht, daß ich damit egoistisch handle. Was ist mit den Leuten, die vor meiner Türe stehen und mich brauchen? Nun, die Türe ist nach wie vor offen, doch ich bin gerade nicht da. Da hängt das "Gone Fishing" Schild an der Tür. Entweder, sie gedulden sich oder aber ziehen weiter, das bleibt ihnen überlassen. Ich zwinge niemanden, mit mir zu reden und mir sein Herz auszuschütten. So neugierig bin ich nicht, daß ich über alles, was im Leben anderer vor sich geht, informiert sein muß. Ich finde mein eigenes Leben spannend genug.

2 Wolfsspur(en):

Anonymous Anonym meint dazu ...

Ich kann Dir in allem nur zustimmen. Ich bin auch sehr gerne alleine und zurückgezogen. Es sind die wenigen Stunden, die ich dafür Zeit habe, in denen ich auftanken, sortieren und wieder neu zusammen setzen kann. Es ist wertvolle Zeit. Aber denk daran, die Aufgabe des Eremiten ist es auch, mit dem was er gefunden hat, wieder nach aussen zu gehen, wie mit Deinem Text hier.

Und denen, die mich fragen "wie geht es Dir" antworte ich gerne "wie lange hast Du Zeit, dann erzähle ich es Dir" So sortiert sich Spreu vom Weizen ;-) Die mich heute fragen, wollen es wirklich wissen und der Austausch ist beiderseits fruchtbar.

Danke und schöne Zeit für Dich.

Liebe Grüße
silvia

10:57 PM  
Blogger Mirtana meint dazu ...

Richtig, wenn der "Eremit" dann wieder aus seiner Klausur auftaucht, dann teilt er seine Erkenntnisse und Gedanken gerne mit den Menschen, von er sich sicher ist, daß sie das auch hören möchten ;) Egal ob bei einer Tasse Tee (leider recht selten), per E-Mail oder am Telefon.

Und die Antwort "wie lange hast Du Zeit, dann erzähle ich es Dir" finde ich einfach genial, genial einfach ;) Sollte ich mal ausprobieren, klingt effektiv.

5:41 PM  

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